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Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (AKJP) 107, 3/2000
Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie 107
Mit Beiträgen von R. Peter Hobson, Hans Hopf, AnnaLena Isaksson, Erika Mertens, Ulrich Rüth
1. Aufl. 2000
144 S., 
19,90 €
vergriffen, keine Neuauflage * Bestellung abgelegt

 

 

 

Inhalt


R. Peter Hobson
Intersubjektivität und Psychopathologie der Entwicklung

Hans Hopf
Zur Psychoanalyse des hyperkinetischen Syndroms

AnnaLena Isaksson
Die Anwesenheit der abwesenden Mutter
Aus der Analyse eines adoptierten Mädchens

Erika Mertens
Migration und die Auseinandersetzung mit dem Fremden

Ulrich Rüth
Ambulante tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen vor einer stationären Aufnahme in die Kinder- und Jugendpsychiatrie

Nachruf auf Barbara Diepold

Buchbesprechungen



Abstracts


R. Peter Hobson
Intersubjektivität und Psychopathologie der Entwicklung

Der vorliegende Beitrag untersucht, wie psychoanalytische Untersuchungen über die Beschaffenheit und die entwicklungsrelevanten Implikationen intersubjektiver psychischer Prozesse durch nicht-analytische Forschungen ergänzt werden können. Theoretische und empirische Untersuchungen des frühkindlichen Autismus und der Borderline-Persönlichkeitsstörung illustrieren die potentielle Relevanz solcher Forschungen auf dem Gebiet der Entwicklungspsychopathologie.


Hans Hopf
Zur Psychoanalyse des hyperkinetischen Syndroms

Das hyperkinetische Syndrom (HKS) und das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) sind derzeit Anlass von aufgeregt durchgeführten Diskussionen. Für die Entstehung werden bekanntlich neurochemische Prozesse, genetische Faktoren, sogar allergologische Verursacher und vieles mehr verantwortlich gemacht, über psychodynamische Ursachen wird kaum mehr nachgedacht, psychoanalytische Therapien gelten sogar als kontraindiziert. Die unerschütterliche Gewissheit, mit welcher diese Hypothesen vorgetragen werden, hat in der Öffentlichkeit Wirkung gezeigt, so dass auch mancher Psychoanalytiker angesichts der im tiefsten Brustton der Überzeugung vorgetragenen Hypothesen irritiert ist. Es wird zudem nicht mehr differenziert, dass es Störungen von unterschiedlicher Ausprägung und auf unterschiedlichem strukturellen Niveau gibt, so dass nicht selten bereits leichte Unruhezustände mit der Diagnose ADS und HKS bedacht und entsprechend behandelt werden.
Im folgenden Beitrag soll verdeutlicht werden, dass mittels einer psychoanalytischen Therapie des HKS nicht lediglich der neurotische Überbau einer Körpererkrankung behandelt wird, sondern dass das HKS selbst Ergebnis einer schwerwiegenden Störung der Psychomotorik ist. Es kann aufgrund von frühen pathologischen Konflikten, beispielsweise eines unbewältigten Objektverlustes (vor dem Hintergrund einer organischen Bereitschaft), entstehen, und es kann und muss psychoanalytisch behandelt werden. In diesem Zusammenhang werden psychoanalytische Theorien von Mahler, Klein, Segal et al. diskutiert. An einem Fallbeispiel aus einer stationären Psychotherapie wird aufgezeigt, wie es auf Grund der Verleugnung von Trennung zur Störung der Symbolisierungsfähigkeit und damit auch zur Lähmung des Phantasieerlebens kommen kann. Dann ist die Welt nicht mehr ausreichend mit symbolischer Bedeutung ausgestattet, so dass es zu der bekannten Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit kommen kann. Die Bedeutung der Geschlechtsunterschiede, Aggressivierung und Sexualisierung von Söhnen mit real oder psychisch abwesenden Vätern werden ebenfalls diskutiert, außerdem einige gesellschaftliche Ursachen.


AnnaLena Isaksson
Die Anwesenheit der abwesenden Mutter
Aus der Analyse eines adoptierten Mädchens

In dem Beitrag setzt sich die Autorin mit der von ihr durchgeführten Analyse eines 8-jährigen Adoptivmädchens auseinander. Die abwesende Mutter wurde schon früh von dem Kind im Spiel thematisiert, aber es war nicht möglich, auf einer symbolischen Ebene mit dem Material zu arbeiten. Ungefähr im dritten Jahr der Analyse tauchte die abwesende Mutter machtvoll in der Übertragung auf. Die Patientin schlief während der Stunden. Das konnte zuerst nicht benannt werden, und die Analyse schien in eine Sackgasse geraten zu sein. Der Druck auf die Analytikerin zu agieren wurde sehr groß, und sie handelte und unterbrach eine Stunde. Dieses Agieren eröffnete eine neue Perspektive. Der Stillstand in der Analyse konnte überwunden werden. Ein Durcharbeiten des Themas abwesende Mutter in der Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung anhand des Schlafens der Analysandin während der Stunden wurde möglich.


Erika Mertens
Migration und die Auseinandersetzung mit dem Fremden

Die Autorin versucht, einen Zusammenhang herzustellen zwischen der Erfahrung des Fremden in der Migrationssituation und in der menschlichen Existenz an sich. Aufgeführte Beispiele von erlittenem Kulturschock zeigen Migration als eine die Geborgenheit im Vertrauten verletzende Situation, die in vielerlei Hinsicht Stabilität gefährdet und zu größerer Vulnerabilität führt. Dem wird gegenübergestellt, dass jedes menschliche Wesen – unabhängig von Migration – seine Erfahrungen mit dem Fremden hat. Zur Bedeutung des Fremden in der normalen menschlichen Entwicklung wird neben der psychoanalytisch-entwicklungspsychologischen Sichtweise auch auf neurobiologische Forschungsergebnisse verwiesen. Die Betrachtungen lassen es insgesamt schwierig erscheinen, rein migrationsspezifische Charakteristika auszumachen.
Anhand der Fallgeschichte eines 13-jährigen Mädchens wird aufgezeigt, wie Migration, d.h. multikulturelle Umweltbedingungen und individuelle Prägung und Neurose ineinander greifen. Eine durchgehend entscheidende Rolle spielen dabei verschiedenartige Stressbelastungen, für deren Bewältigung mangels emotional beruhigender Erfahrungen keine adäquaten Copingmuster erworben werden konnten. Die Jugendliche ist Tochter eines weitgehend in Frankreich aufgewachsenen algerischen Vaters und einer deutschen Mutter. Vorstellungs- und Behandlungsgrund sind drohendes Schulversagen und neurologisch diagnostizierte psychogene Hyperkinesen und Tics. Das Übertragungsgeschehen offenbart die der neurotischen Symptomatik zugrunde liegenden Ängste und Konflikte, deren analytische Bearbeitung schließlich den Weg zur Identität und Integration eines bikulturellen Selbst ermöglicht.


Ulrich Rüth
Ambulante tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen vor einer stationären Aufnahme in die Kinder- und Jugendpsychiatrie

Ambulante, tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen können bereits längere Zeit vor einer stationären Aufnahme in die Kinder- und Jugendpsychiatrie beendet sein, oder aber sie reichen zeitlich an einen stationären Aufenthalt heran, oder die ambulante Therapie wird durch ein stationäres Behandlungsintervall unterbrochen.
Die inhaltliche Analyse dieser Konstellationen ergab, dass häufig die Eltern und deren psychische Situation sowohl in die ursprüngliche Indikationsstellung als auch in die therapeu¬tische Arbeit nicht ausreichend einbezogen waren. Dies lag auf der phänomenologischen Ebene entweder an einer geringen oder fehlenden begleitenden Elternarbeit, einem Agieren der Eltern im Sinne von Verweigerung – beispielsweise aufgrund eigener psychischer Störungen – oder aber an einer ablehnenden Haltung der betroffenen Jugendlichen gegenüber einer Einbindung der Eltern. Darüber hinaus wurden nicht immer psychiatrische Aspekte der ambulant betreuten Kinder wie Teilleistungsstörungen und Intel¬ligenzniveau oder aber die Angemessenheit der äußeren Lebensbedingungen (Achse 5 der multiaxialen kinder- und jugendpsychiatrischen Klassifikation MAS, vgl. Remschmidt & Schmidt, 1994) vor der Indikationsstellung zur Therapie ausreichend geprüft. Das wiederholt und nahezu durchgängig beobachtete Muster war jedoch die unzureichende oder therapeutisch erfolglose Einbeziehung der Eltern im ambulanten Setting und nicht – wie möglicherweise erwartet werden würde – die Problematik einer falschen Indikationsstellung im engeren Sinne.
Dieser Befund entspricht theoretischen Überlegungen, nach denen vollstationäre, z.T. auch teilstationäre Klinikaufnahmen sowohl unter den Aspekten der psychischen als auch der innerfamiliären Triangulierung und der Rahmensetzung andersartige und unter bestimmten Bedingungen z.T. erfolgreichere Interventionen ermöglichen können.

 

 

 

 
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