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Selbstpsychologie 27, 1/2007 Die Selbstpsychologie als Lebensgefährtin |
Self psychology as Companion |
Selbstpsychologie 27 |
Mit Beiträgen von erwin Bartosch, Martin Goßmann, Andrea Harms, Sigmund Karterud, Anette Lachmann, Frank M. Lachmann, Anna Ornstein, Paul H. Ornstein, Sascha Schipflinger |
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Inhalt
Paul H. Ornstein Der Einfluss der Selbstpsychologie auf die persönliche Weltanschauung des Analytikers
Anna Ornstein Lieben und Schöpferisch Sein im Alltag und in der klininschen Praxis
Martin Goßmann Empathie UND/ODER Authenzität als wachstumsfördernde Faktoren eines analytischen Prozesses: Frau Andernach
Sigmund Karterud Der Fall Knut Hamsun oder »der tragische Mensch«
Frank M. Lachmann/Anette Lachmann Die Selbstpsychologie geht in die Oper
Sascha Schipflinger Vergleichende Aspekte von Intersubjektivitätstheorie und Selbstpsychologie
Abstracts
Paul H. Ornstein Der Einfluss der Selbstpsychologie auf die persönliche Weltanschauung des Analytikers
Freud leugnete, dass der Psychoanalyse eine eigene Weltanschauung inhärent sei. Sie habe die wissenschaftliche Weltanschauung ihrer Zeit voll akzeptiert. Kohut hingegen anerkannte explizit, dass der selbstpsychologischen Variante der Psychoanalyse eine intrinsische Weltanschauung innewohnt, fest verankert in ihren Entwicklungstheorien und ihren klinischen Theorien. Am Beginn dieses Essays steht eine Untersuchung der Natur von Weltanschauungen, ihrer vielfältigen Quellen und ihrer bemerkenswerten Zähigkeit. Er beginnt mit Jaspers bahnbrechender Monographie und stellt die Idee vor, dass eine erfolgreiche Analyse darauf hinausläuft, vorbestehende persönliche Weltanschauungen zu verändern, indem sie von der spezifischen persönlichen Überzeugung des Analytikers beeinflusst werden und diese integrieren. Es ist zu hoffen, dass dies zur Entwicklung eines offenen Systems kontinuierlicher Modifikation führt, geleitet von fortschreitender Erfahrung.
Anna Ornstein Lieben und Schöpferisch Sein im Alltag und in der klininschen Praxis
Die Arbeit zeigt eine Entwicklungslinie von der kindlichen Erfahrung, geliebt zu werden, bis zur Fähigkeit zu reifer Liebe auf, in der sich jemand geliebt fühlt und in der Lage ist, Liebe frei zum Ausdruck zu bringen. Mangelt es in der Kindheit am Gefühl, geliebt zu werden, entstehen dadurch Defizite des Selbst, die für die verzweifelte Suche nach solchen Erfahrungen im Erwachsenenleben verantwortlich sein können. Ein klinisches Beispiel macht deutlich, dass sich diese Suche häufig in promiskuitiver Sexualität manifestieren kann, verbunden mit dem Unvermögen, den Anderen zu lieben. Ein Überblick über psychoanalytische Literatur zeigt die unterschiedlichen Versuche, die unternommen wurden, um eine psychoanalytische Erklärung für diese geheimnisvollste aller menschlichen Erfahrungen zu bieten. Aufgrund gewisser Ähnlichkeiten von Lieben und Kreativität beinhaltet die Arbeit auch einen kurzen Abschnitt über Kreativität.
Martin Goßmann Empathie UND/ODER Authenzität als wachstumsfördernde Faktoren eines analytischen Prozesses: Frau Andernach
Die zeitgenössische Psychoanalyse erkennt die Subjektivität des Analytikers (bzw. der Analytikerin) als Einfluss auf die analytische Atmosphäre und den sich im intersubjektiven Raum entfaltenden Prozess zwischen Patient und Behandler an. Es besteht aber folgende Kontroverse: Wie soll der Analytiker seine Subjektivität in dem Entwicklungsprozess, den die Behandlung für die Patientin darstellen soll, nutzen? In der relationalen Psychoanalyse wird befürchtet, dass die Konzentration auf die Subjektivität der Patientin, das heißt auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines stabilen Selbst innerhalb ihrer Selbst-Selbstobjekt-Matrix, die Bedeutung der Entwicklung der Fähigkeit zur Anerkennung der Subjektivität des Anderen über seine Funktion als Quelle von Selbstobjekterfahrungen hinaus unterbewertet. Die Frage, die sich aus dem Postulat des Entwicklungszieles wirklicher Intersubjektivität ergibt, welche die Subjektivität des Anderen mit gleicher Validität in ihrer Unterschiedlichkeit anerkennt, ist in der klinischen Anwendung folgende: Unterstützt oder behindert das kontinuierliche Bemühen des Analytikers, die Subjektivität seiner Patientin innerhalb des Kontextes ihrer idiosynkratischen Erfahrungswelt als valide anzuerkennen, sie bei dem Erwerb der Fähigkeit zur gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen Subjektivität und Andersartigkeit? Ein klinisches Fallbeispiel soll diese Frage eher aus der Erlebnisperspektive der Patientin als aus der Perspektive theoretischer Erwägungen aufnehmen.
Sigmund Karterud Der Fall Knut Hamsun oder »der tragische Mensch«
Der Artikel beschreibt eine psychobiographische Studie des widersprüchlichen norwegischen Autors und Nobelpreisträgers Knut Hamsun (1859 – 1952). Neben einer umfangreichen Sammlung historischer Fakten (mehr als 20.000 Ereignisse)schließt die Studie eine retrospektive diagnostische Evaluation, eine retrospektive NEO-PIR Persönlichkeitsbeurteilung und eine selbstpsychologische Interpretation von Leben und Psychodynamik des Autors ein. Die Arbeit entfesselte eine hitzige Mediendebatte über Relevanz und Methoden von Psychobiographien.
Frank M. Lachmann/Anette Lachmann Die Selbstpsychologie geht in die Oper
Erwin Bartosch kehrte der dogmatischen Psychoanalyse den Rücken, um sich Kohuts Forschungstradition und seinen Herausforderungen anzuschließen, und gründete den Wiener Kreis. Das Thema von Kohuts Lieblingsoper, Richard Wagers »Die Meistersinger«, die vom Kampf des schaffenden Künstlers gegen eine engstirnige Orthodoxie handelt, war Erwin gemeinsam mit Freud, Kohut und Wagner nur allzu vertraut. »Die Meistersinger« enden auf einem sonnigen Festgelände in der Nähe von Nürnberg, aber als Schlusspunkt für diese Arbeit wurde ein Ende gewählt, das besser zu Erwin passt, nämlich das der Oper »Rosenkavalier« in einem kerzenerleuchteten Gasthaus in Wien.
Sascha Schipflinger Vergleichende Aspekte von Intersubjektivitätstheorie und Selbstpsychologie
Die Intersubjektivitätstheorie entwickelt ihr eigenständiges Profil sukzessive weiter. Vor allem für die Herausarbeitung einer erkenntnistheoretischen Position spielten philosophische Einflüsse dabei von Beginn an eine konstitutive Rolle. Eine durch phänomenologische bzw. hermeneutische Theorien basierte Perspektive dient dabei als Leitfaden für die »Umwidmung« kohutianischer Begriffe in Richtung Kontextualismus und Relationalität. In den Darstellungen von Donna Orange (2004) und Chris Jaenicke (2006) ist es die Philosophie von Hans-Georg Gadamer – so durch seine Vorstellung vom mitfühlenden Verstehen und einer dialogisch verfassten Perspektivenerweiterung–, die eine Spezifizierung in Richtung »Intersubjektive Systemtheorie« anleitet. Dabei kommt der dadurch modifizierten Vorstellung von Gegenübertragung und Empathie eine Schlüsselrolle zu: Diese wird vom Instrument der objektiven Beobachtung zur erkennenden emotionalen Aktivität im Kontext des intersubjektiven Feldes. Die Betonung des emotionalen Gehalts des Empathiebegriffs impliziert darüber hinaus praktische Auswirkungen, die im Rahmen einer Fallvignette »spürbar gemacht« werden. |