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Selbstpsychologie 25/26, 3-4/2006
Affekte und Bedeutung:
Wachsende therapeutische Anwendungsmöglichkeiten der Selbstpsychologie
Affects and Meaning:
The widening therapeutic range of self psychology
Selbstpsychologie 26/27
Mit Beiträgen von u. a. Ronald Bodansky, Susanna Federici, James L. Fosshage, Hans-Heinrich Gossmann, Andrea Harms, Leif Havnesköld, Chris Jaenicke, Raanan Kulka, Wolfgnag Milch, Franco Paparo
1. Aufl. 2006
360 S., Pb.
49,80 €
vergriffen, keine Neuauflage * Bestellung abgelegt

Inhalt


Chris Jaenicke
Affects: The Paradigm Shift in Psychoanalysis

Ronald Bodansky
Projective Identification from a Self Psychological Viewpoint

James L. Fosshage
Searching for Love and Expecting Rejection:
Implicit and Explicit Dimensions in Co-Creating Analytic Change

Susanna Federici
Authenticity and Asymmetry in Analytic Love

Franco Paparo
The treatment of the »unbearable emotions« due to »unimagniable storms«

A. Harms/E. Bartosch/M. Blattny/G. Delpin/S. Turinsky
Über die Anwendbarkeit der psychoanalytischen Selbstpsychologie

Leif Havnesköld
Focused (time-limited) selfpsychologically based psychotherapy

Raanan Kulka
The Human Condition between Emergence and Dissolving:
Self Psychology as a Harmonious Bridge between Psychoanalysis and Buddhism

Hans-Heinrich Goßmann
Was tut dir weh?
Gedanken Parzivals zur »Mitleidsfrage« und zum »Gefragtseinwollen«

Wolfgang Milch
The Self in the mirror of the Object



Abstracts


Chris Jaenicke
Affects: The Paradigm Shift in Psychoanalysis

Affekte: der Paradigmenwechsel in der Psychoanalyse beschreibt die zentrale Bedeutung von Emotionen für den psychotherapeutischen Prozess. Ein Verstehen des Patienten kann nicht erlangt werden, ohne dass sich der Psychotherapeut auf den Prozess des Involviertseins einlässt. Aus diesem Grund wird der Prozess des Verstehens auf der Erlebnisebene als ein Ertragen beschrieben. Traditionell wurden Affekte as atomistische, primäre Affektzustände verstanden, die einer relationalen, intersubjektiven Erfahrung vorausgehen. Das führte zu einer Sichtweise, die Emotionen als Epiphänomene von Trieben verstand, als Triebderivate. So wurde die subjektive Bedeutung von Affekten und der intersubjektive Kontext, in dem sie entstanden und reguliert wurden, von zweitrangiger Bedeutung. Aus heutiger Sicht steht nicht mehr die Kontrolle und der Verzicht von aggressiven und sexuellen Affekten im Mittelpunkt, sondern die Schwierigkeit des Patienten, sein Erleben zu begreifen. Bedeutung und Authentizität haben Einsicht und Verzicht ersetzt. Subjektive Bedeutungen, nicht die Triebe, werden als zentrales Motivationsprinzip angesehen. Emotionen und deren persönliche Bedeutungen können nur verstanden werden innerhalb der intersubjektiven Felder, in denen sie entstanden sind, oder sich weiterhin im therapeutischen Prozess herauskristallisieren. Die »Abfuhr«-Metapher des Energieumwandlungsmodells, in der es um die Entlastung von unerwünschten Affektzuständen ging und die die Entladung als eigentliche Bedeutung des Begriffs der Affektäußerung ansah, wird verglichen mit der zentralen Rolle, die Fähigkeit Affekte zu »lesen« und zu integrieren. Psychopathologie wird verstanden als das Resultat von chronischer affektiver Missabstimmung. Die Fähigkeit, Affekte zu tolerieren, zu artikulieren und zu integrieren wird als maßgeblich angesehen, mit uns selbst, dem Anderen und der Welt in Verbindung zu stehen. Die zentrale Rolle der affektiven Abstimmung wird für den Heilungsprozess hervorgehoben. Der psychotherapeutische Prozess wird als dyadischer Tanz beschrieben, in dem jede Kommunikation spiralenartig mit der vorangegangenen verbunden und abhängig ist. Beiden Teilnehmern ist der sicherheitsspendende Mythos des isolierten Geistes versagt, beide müssen sich der unerträglichen Eingebettetheit des Seins stellen. Somit bekommt das
Risiko der Verbundenheit eine neue Bedeutung für den Psychotherapeuten. Wir leben in unseren Patienten, unsere Patienten leben in uns. Das Gelingen einer Analyse beruht demzufolge auf der Bereitschaft beider Teilnehmer, sich einzulassen und zu verändern. Das Verständnis des Zusammenspiels beider Subjektivitäten wird als zentral für das Verständnis des psychoanalytischen Prozesses betrachtet. Fortschritte und Blockaden müssen dementsprechend als intersubjektive Phänomene begriffen werden.
Zwei Fallbeispiele, die das filigrane Zusammenspiel der Telnehmer illustrieren soll, werden beschrieben. Die Rolle der reaktiven emotionalen Zustände des Analytikers und deren Auflösung, die zu einem vertieften Verständnis der Patienten führte, sollen die Thesen der therapeutischen Dyade als unauflösbare Einheit und die zentrale Bedeutung von Emotionen, untermauern.


Ronald Bodansky
Projective Identification from a Self Psychological Viewpoint

In diesem Aufsatz wird der Versuch unternommen, das Konzept der Projektiven Identifikation, das zuerst von Melanie Klein beschrieben wurde, in seinen bisherigen Anwendungen zu verstehen. Er befasst sich mit den historischen Aspekten der Entdeckung dieses Konzeptes und versucht darzulegen, wie es sich je nach Verwendung durch verschiedene Autoren verändert hat. In vieler Hinsicht wird dieses Konzept von Analytikern häufig dazu verwendet, ihre eigenen Gefühle zu verleugnen, für selbstpsychologisch arbeitende Analytiker ist dieses Konzept nach Ansicht des Autors überflüssig. Es gehört eher in die Kategorie einer rein intrapsychisch orientierten Theorie der Interaktion und nicht zur Theorie der Intersubjektivität.


James L. Fosshage
Searching for Love and Expecting Rejection:
Implicit and Explicit Dimensions in Co-Creating Analytic Change

Fundamentale Erfahrungen von Liebe – zu lieben und geliebt werden – sind wesentlich für die Entwicklung und die Aufrechterhaltung eines lebendigen Selbsterlebens. In unterschiedlichen Schattierungen, Nuancen und emotionalen Bewertungen reichen Erfahrungen von Liebe von elterlicher Liebe zur Liebe einer Bezugsperson, zur freundschaftlichen Liebe bis zur romantischen Liebe. Werden die entwicklungsbedingten Bedürfnisse nach Liebe während der Kindheit wiederholt gestört, so entwickeln sichnegative Selbstvorstellungen und andere implizite Muster des Denkens und des Sichinbeziehungsetzens, die das gemeinsam entstehende lebenslang notwendige Erleben von Liebe belasten. Das Ziel dieses Vortrages ist die Darstellung einer detaillierten klinischen Falldarstellung von den Anziehungskräften und Spannungen, die sich zwischen Patient und Analytiker interaktiv abspielen. Dabei werden sowohl die Hoffnungen des Patienten für unterschiedliche Formen der Liebe und Erwartungen der Zurückweisung involviert als auch die Reaktionen des Analytikers auf diese. Der zentrale Fokus besteht darin, zwei unterschiedliche Wege der therapeutischen Aktion zu beschreiben und klinisch zu illustrieren. Ein Weg der Veränderung schließt die Wiederholung neuer Erfahrungen ein, die langsam in das Gedächtnis aufgenommen werden als ein neues implizites prozedurales Beziehungswissen – vitalisierende Entactments die angesprochen werden können oder nicht. Ein zweiter Weg zur Veränderung bezieht Patient und Analytiker ein, die gemeinsam einen Weg finden müssen durch eine Menge problematischer impliziter und expliziter Muster des Denkens und Sichinbeziehungsetzens (sich wiederholende Entactments). Diese erfordern eine explizite Exploration und ein bewusstes Gewahrwerden, um Patient und Analytiker von der machtvollen Kraft dieser Muster zu befreien. Die Freiheit von diesen Mustern ermöglichen Patient und Analytiker gemeinsam, implizit und explizit, die benötigten verschiedenen Erfahrungen von Liebe herzustellen, die dazu dienen, neue Wahrnehmungen von sich selbst und anderen herzustellen.


A. Harms/E. Bartosch/M. Blattny/G. Delpin/S. Turinsky
Über die Anwendbarkeit der psychoanalytischen Selbstpsychologie

Die Autoren begründen, warum die psychoanalytische Selbstpsychologie
einen hohen Grad von Anwendbarkeit aufweist. Mit »Anwendbarkeit« sind Möglichkeiten gemeint, auch außerhalb des üblichen drei- bis vierstündigen Settings, etwa auch in einem institutionellen Rahmen zu arbeiten. Die selbstpsychologische Psychoanalyse ruht auf zwei Grundpfeilern: einerseits auf der konsequent beibehaltenen Empathie, andererseits auf der zentralen Bedeutung der Selbst-Selbstobjektübertragungen des Therapeuten in ihrer Verschränkung mit denen des Analysanden als Gegenstand der Analyse. In drei Falldarstellungen aus sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern – der Arbeit mit der Mutter eines behinderten Kindes, der Arbeit mit einem Straftäter innerhalb des Strafvollzugs und der Arbeit mit einer Suchtkranken innerhalb einer Institution in einem selbstpsychologisch-erlebnispädagogischen Konzept – wird die Anwendbarkeit der Selbstpsychologie dargestellt und gezeigt, dass es die selbstpsychologische Einstellung war, die es der Therapeutin, dem Therapeuten ermöglichte, ihren Patienten unter diesen Umständen zu entsprechen.


Raanan Kulka
The Human Condition between Emergence and Dissolving:
Self Psychology as a Harmonious Bridge between Psychoanalysis and Buddhism

Der sich zunehmend erweiternde Horizont psychoanalytischen Denkens eröffnet für die westliche Seele eine außergewöhnliche Möglichkeit, um der großen Vision des Buddhismus ein wenig näher zu kommen. Der spirituelle Kern des Buddhismus
ist vermutlich der nie endende Übergang menschlichen Seins von der Gegenwärtigkeit der phänomenalen Welt als solcher hin zu einer losgelösten Bewusstheit einer holistischen Seinsweise der Existenz. Die grundlegende buddhistische Annahme eines konstanten Übergangs von einem endlichen immanenten Sein zu einem unendlichen transzendenten Werden findet eine Entsprechung in der gegenwärtigen psychoanalytischen Orientierung an der Idee eines Selbst; dies gilt insbesondere für die auf Kohut beruhende Selbstpsychologie, die eine nicht-lineare Transformation vom virtuellem Selbst, Kernselbst, kohäsivem Selbst bis hin zu einem kosmischen Selbst in den Mittelpunkt der Psychoanalyse rückt. Dieser Vorstellung entsprechend ist menschliche »Ichheit « keine konstante ontologische Größe, sondern ein oszillierendes Vibrieren zwischen Zuständen der Emergenz, in der sich eine unterscheidbare Individualität herausbildet und formt und Zuständen der Auflösung in eine überindividuelle Teilhabe an der Welt. Die Vervollkommnung einer freien Bewegung, die zwischen diesen Selbstzuständen hin- und her fließt, ist das ultimative Erreichen reiner Gegenwärtigkeit und achtsamen Erwachens des menschlichen Seins. Diejenigen, die sich sowohl der Lehre des Buddha als auch der Psychoanalyse als einer helfenden Disziplin verpflichtet fühlen, haben gemeinsam die spirituelle Aufgabe, eine humane Matrix für unser »Anderes« zu schaffen. Dadurch wird der Mensch in die Lage versetzt, das Ziel einer Entfaltung der ganzen Bandbreite dieses doppelten Verhältnisses von Emergenz und Auflösung zu erreichen. In diesem Sinne scheinen sich sowohl Buddhismus als auch Psychoanalyse dem Ideal des Bodhisattva zu widmen, eines mitleidsvollen Kriegers, der sein Leben zum Heil aller anderen, dem Erreichen dieser inneren Natur weiht. Die theoretischen Annahmen werden durch zwei beispielhafte klinische Momente von Emergenz und Auflösung illustriert, die sich als Antwort auf die mitleidsvolle Aktivierung der empathischen Matrix einer Selbstobjekt-Beziehung herausbilden.


Hans-Heinrich Goßmann
Was tut dir weh?
Gedanken zu Parzivals »Mitleidsfrage« und zum »Gefragtseinwollen«

Anhand von Wolfram von Eschenbachs »Parzival« wird dargestellt, welch fundamentaler Unterschied besteht zwischen dem Fragen nach Informationen, von dem M. Balint gesagt hat: »man bekommt Antworten – sonst auch nichts« und dem empathischen Fragen nach der Person eines Anderen in ihrer Befindlichkeit. Auch der Unterschied zwischen Neugier und Mitleid einerseits und einfühlendem Verstehen andererseits wird diskutiert.


Wolfgang Milch
The Self in the mirror of the Object

Während kreativen Schaffensperioden können starke Gefühle mobilisiert werden, die mit inneren Kämpfen einhergehen. Einige der wachgerufenen Affekte werden erst in dem regressiven Prozess der künstlerischen Tätigkeit bewusst, manchmal in einem tranceähnlichen inneren Zustand unter Aufgabe vordergründiger Ziele. Dadurch kann eine neue innere Freiheit entstehen, allerdings muss der kreativ Tätige sich zunächst einem Zustand inneren Chaos stellen, in dem starke Affekte und körperliche Spannungen ausgehalten werden müssen. In diesem Zustand muss der Künstler bewusste Ziele und Vorstellungen aufgeben. Das Objekt taucht als ein Gegenüber auf, es wird zunehmend präsent und entwickelt eine eigene Existenz. Wenn der Künstler seine Gefühle in das Objekt hineinlegt, lernt er selbst mit eigenen schmerzlichen Gefühlen umzugehen. Indem er seine Gefühle dem Objekt zuschreibt und dieses in der Veränderung beobachtet, kann er auch seine eigenen Gefühle wie in einem Spiegel anders und neu sehen.
 
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