Erfahrungsbasiert skizzieren die Beitragenden Entwicklungslinien und zukünftige Aufgaben der tiefenpsychologisch fundierten und psychoanalytischen Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen aus den Bereichen Klinik und Praxis, Fort- und Weiterbildung sowie Forschung und Lehre. Die Herausgeber wollen damit die Breite und Tiefe des Fachbereichs unter besonderer Berücksichtigung des Entwicklungsraums Zukunft aufzeigen.
Mit Entwicklungsraum sind dabei unterschiedliche Dimensionen von Entwicklung gemeint: In erster Linie geht es um die individuelle Entwicklung der Patienten und ihrer Familien. Fort- und Weiterbildung sowie Studium stellen ihrerseits einen Raum für die Entwicklung einer beruflichen, nämlich psychotherapeutischen Identität dar. Vor dem Hintergrund einer sich ändernden Gesundheitspolitik geht es – auch angesichts zunehmender Digitalisierung in der Medizin – um die Entwicklung und zukünftige Bedeutung des Fachbereichs.
Die Zusammenstellung von Beiträgen richtet sich an Kollegen, die an der Psychotherapie von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden und ihren Familien interessiert sind; dabei sind Vertreter der psychodynamischen Psychotherapie und anderer anerkannter Psychotherapieverfahren ebenso adressiert wie Kandidaten in Fort- und Weiterbildung sowie Studierende der Psychotherapie. Die Herausgeberin und der Herausgeber laden ein zu einem fachlichen Einblick und zur Vertiefung in einem sehr spannenden, reichhaltigen und nachhaltig wirksamen Arbeitsbereich.
Inhalt
Christian Rexroth & Iris Rexroth: Vorwort
Kultur und Gesellschaft
Arne Burchartz: »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut« – Psychische Dimensionen des Klimawandels bei Kindern, Jugendlichen und Eltern – Ein Essay
Frank Dammasch: Das Kind in der Moderne – zwischen Grundbedürfnissen und Optimierungszwang
Oliver Bilke-Hentsch: 30 Jahre Neoliberalismus und 20 Jahre Digitalisierung – Von Beschleunigung und Entschleunigung der »Generation Z«
Wolfgang Oelsner: Die Enttraditionalisierung von Herkunft – Psychodynamische Aspekte bei multipler Elternschaft
Ann Kathrin Scheerer: Natur oder Konstruktion – Gedanken über den Wunsch nach einem Kind
Hediaty Utari-Witt: Der Spagat – Gedanken zu psychoanalytischen Grenzgängen zwischen Kulturen und Sprachen
Geschichte, Gegenwart und Zukunft der psychodynamischen Kinder- und Jugendichen-Psychotherapie
Peter Bründl: Ohne Vergangenheit und Nachträglichkeit keine Zukunft für die psychoanalytisch begründeten Psychotherapien für Kinder und Jugendliche
Eva Rass: Psychodynamische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie heute?! – Die Bedeutung beziehungsorientierter Entwicklungszeit in einer von Schnelllebigkeit geprägten Gesellschaft
Dagmar Lehmhaus: Kinder sind anders! – Ein Plädoyer für die Fortschreibung einer eigenständigen Ausbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Behandlungstechnik
Yecheskiel Cohen: Hoffnung als essentielles und primäres Grundelement in jeder Therapie
Michael Günter: Das Unbewusste, das Spiel, die Realität und das Denken in der Kinderanalyse
Alfred Walter: Aktive Parteinahme für latente Entwicklungstendenzen – Zum »Entwicklungsobjekt« und dessen Konzeptualisierung
Serge Sulz & Annette J. Richter-Benedikt: Mentalisierung als Brücke zwischen tiefenpsychologischer und kognitiv-behavioraler Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie am Beispiel der Strategischen Jugendlichentherapie (SJT)
Elke Fietzek: Vom Regelspiel zur Kreativität – therapeutische Interventionen in der Kinderpsychotherapie
Bertke Reiffen-Züger: Aus der Zeit gefallen? – Spiel und Spielen mit dem Plämokasten der Ärztlichen Akademie für Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen e.V., München
Matthias Wenck & Ursula Wienberg: Es ist – einfach – so!? – Gedanken zur Gruppentherapie mit Kindern und Jugendlichen
Phasen- und störungsspezifische Entwicklungsräume
Petra Sobanski: Der verborgene Schlüssel zum Gartenhaus – Psychodynamische Aspekte und Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Perinatalmedizin
Éva Hédervári-Heller: Unterstützung elterlicher und kindlicher mentaler Gesundheit – Soziokulturelle, therapeutische und pädagogische Aspekte
Hansjörg Pfannschmidt: Die Bedeutung der Liebesbeziehung der Eltern für die kindliche Entwicklung – Oder: Kann ein Paar ein Liebespaar bleiben,
wenn es zum Elternpaar wird?
Sebastian Kudritzki & Catharina Salamander: Die Erosion der Latenz in der Postmoderne – Ein Plädoyer für das goldene Zeitalter der Kindheit
Vera King: Neubeginn im generativen Entwicklungsraum der Adoleszenz – Oder: Bergtour mit Liegenden
Dieter Bürgin: Vom Nutzen des Nicht- und vielleicht Doch-Verstehens – Bericht über eine psychoanalytisch konzipierte Rehabilitation
einer Jugendlichen
Karin J. Lebersorger: Wenn »Sonnenscheinchen« lange Schatten werfen – Entwicklungsräume für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien durch psychoanalytisches Verstehen öffnen
Forschung und Prävention
Sieglinde Eva Tömmel: Die Zukunft psychoanalytischer Entwicklungspsychologie – Forschung – Alltag – gesellschaftliche Präsenz
Fernanda Pedrina: Psychotherapie in der frühen Kindheit: kreative Intuition und das Streben nach Evidenz
Martin H. Maurer: Psychodynamische Forschung mit dem Plämokasten
Matthias Franz, Daniel Hagen & Marco Jung: Familiäre Trennung als Gesundheitsrisiko
Inge Seiffge-Krenke: Spannende Zukunft: Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie – mehr als nur eine Frage der Effizienz
Aus-, Fort- und Weiterbildung
Sibylle Moisl: Die Ärztliche Akademie für Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen e.V., München, als Entwicklungsraum – Eine Reise in die Vergangenheit mit Ausblicken in die Zukunft – Die Ärztliche Akademie unter Leitung von Manfred Endres, Reflektionen einer Weggefährtin im Gespräch mit Iris Rexroth
Susanne Hauser: Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie – Ausbildung im Wandel – Bedeutung der Ausbildungsinstitute für die berufliche Identitätsentwicklung
Franz Schambeck: Ein Spaziergang mit Mani, Feli und Fiepe – Leben und Ausbildung
Die Zukunft denken
Roland Apsel: Planetarität – eine freudvoll-utopische Perspektive für die Menschheit entwickeln – Ein überhaupt nicht harmlos gemeinter Versuch zur notwendigen Selbstverteidigung
Christian Rexroth & Iris Rexroth: Vorwort
Diese Anthologie ist Dr. med. Manfred Endres gewidmet. Manfred Endres hat im Jahr 1995 offiziell die Leitung der Ärztlichen Akademie für Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen e. V., München, übernommen und als Vorstandsvorsitzender das Angebotsspektrum des im deutschsprachigen Raum renommierten Fort- und Weiterbildungsinstituts mit seinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern enorm weiterentwickelt. Um seine Verdienste um die Ärztliche Akademie und die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen fachlich zu würdigen, geben wir eine umfassende Publikation zur Lage, zu Anwendungsfeldern und Möglichkeitsräumen der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie heraus. Es sind Beiträge angesehener Fachvertreterinnen und -vertreter, die Manfred Endres in diesem Vierteljahrhundert auf seinem Weg begleitet haben. Die Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Israel, Österreich und der Schweiz skizzieren erfahrungsgeleitet, fachlich und wissenschaftlich fundiert mögliche Entwicklungslinien und zukünftige Aufgaben der tiefenpsychologisch fundierten und psychoanalytischen Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen aus den Bereichen Klinik und Praxis, Fort- und Weiterbildung sowie Forschung und Lehre. Auf der Suche nach einem Buchtitel stießen wir schnell auf einen Begriff, der das Schaffen von Manfred Endres als Lehranalytiker, Dozent und Supervisor aus unserer Sicht beschreibt: Entwicklungsraum. Zum einen entsteht in der psychodynamischen Psychotherapie in Anlehnung an D. W. Winnicotts Begriff des »potential space« idealerweise ein Entwicklungsraum. Dabei geht es um die individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien und die damit verbundene Generativität. Zum anderen stellen die Fort- und Weiterbildung sowie – zukünftig – das Studium der Psychotherapie einen Raum für die Entwicklung einer beruflichen, nämlich psychotherapeutischen Identität der angehenden Therapeutinnen und Therapeuten dar. Darüber hinaus ist für Manfred Endres und seine Wegbegleitenden die Integration der entwicklungspsychologischen Perspektive in den psychoanalytischen Kontext des Curriculums nach wie vor von großer Bedeutung. So richten sich die Angebote der Ärztlichen Akademie in erster Linie an Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, aber auch an Angehörige anderer Fachgebiete sowie an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die mit Kindern und Jugendlichen und ihren Familien bzw. anderen bedeutsamen Bezugspersonen arbeiten. Damit führte Manfred Endres fort, was Professor Gerd Biermann mit der Gründung der Ärztlichen Akademie schon 1977 verfolgte. Mit seinem Leitgedanken, die »Seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Fokus«,1 geht es Manfred Endres um die Bewahrung und Weiterentwicklung der Ärztlichen Akademie unter Einbeziehung neuer psychoanalytischer Erkenntnisse in Forschung, Klinik und Praxis sowie um die Vernetzung mit national und international tätigen Kolleginnen und Kollegen. Dieser Geist prägt maßgeblich die zwei Mal jährlich in Benediktbeuern und Brixen stattfindenden Symposien, die Teil und Abschluss der jeweiligen Fort- und Weiterbildungswochen der Ärztlichen Akademie bilden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungslandschaft und einer sich ändernden Gesundheitspolitik geht es – auch angesichts der zunehmenden Digitalisierung in der Medizin – um die weitere Entwicklung und zukünftige Bedeutung der psychodynamischen Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen, die gegenwärtig in Deutschland weiterhin mehrheitlich zum Einsatz kommt. Angeregt von der Fridays-for-future-Bewegung möchten die Herausgeber mit diesem Buch einen Rahmen geben, um mit den Beitragenden die Tiefe und die Breite des Entwicklungsraumes unter besonderer Berücksichtigung seiner Zukunft aufzuzeigen. Die Zusammenstellung von Beiträgen über kulturelle, gesellschaftliche und historische Perspektiven, die Behandlungstechnik in phasen- und störungsspezifischen Entwicklungsräumen, in Prävention und Forschung sowie in Aus-, Fort- und Weiterbildung richtet sich an Kolleginnen und Kollegen, die an der Psychotherapie von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien interessiert sind; dabei sind bereits approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ebenso adressiert wie Kandidatinnen und Kandidaten in Fort- und Weiterbildung sowie – zukünftig – Studierende der Psychotherapie. Nicht zuletzt enthält dieses Werk in seiner Summe an Quellen auch den wertvollen Schatz eines über die Grenzen Europas hinaus zusammengetragenen Literaturverzeichnisses. Die Herausgeber laden ein zu einem fachlichen Einblick und zur Vertiefung in einem spannenden, reichhaltigen und nachhaltig wirksamen Arbeitsbereich. Was aber hat die Ärztliche Akademie mit Bienen zu tun? Das Schwarmbild eines Bienenvolkes als Metapher für die besondere Form der zeitlich-örtlichen Gestaltung des Curriculums und der Symposien wählte Manfred Endres als passionierter Imker selbst: Zu den Weiterbildungswochen und Symposien kommen Fort- und Weiterzubildende sowie national und international renommierte Vertreterinnen und Vertreter der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie vor allem aus Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz sowie aus Israel in Benediktbeuern bzw. Brixen zusammen, um wissenschaftlich fundierte psychoanalytische Inhalte zu hören bzw. zu verlesen, sich darüber auszutauschen und auf dem Boden der davon getragenen Gemeinschaft neue kreative Ideen zu entwickeln, um anschließend mit dieser geistig-seelischen Nahrung in ihre heimatlichen Wirkungsorte »auszuschwärmen« und den »Nektar« in ihren Berufsfeldern weiterzuverbreiten. Während der Fort- und Weiterbildungswochen der Ärztlichen Akademie mit ihrer fachlichen Dichte und pulsierenden Lebendigkeit, die mit dem Leben eines Bienenvolkes durchaus vergleichbar ist, sind so in den vergangenen Jahren – in freundschaftlicher Verbundenheit mit vielen Kolleginnen und Kollegen – zahlreiche neue Fort- und Weiterbildungskonzepte, Buchideen, ein Diagnose- und Therapiematerial in Form des »Plämokasten« und mittlerweile sogar ein psychoanalytisches Forschungsprojekt entstanden. Kontinuität und Verlässlichkeit in der Beziehung sind dabei eine wesentliche Grundlage des Entwicklungsraums. Zugleich stehen die Bienen sinnbildlich für alle Insekten, deren Existenz für die Zukunft der Menschheit ökologisch von elementarer Bedeutung ist. Damit werden die Bienen auf dem Titelbild zum Symbol für den zukünftigen Entwicklungsraum unseres Planeten. Das Bild unterstreicht so kontextuell den Titel unseres Buches: Entwicklungsraum Zukunft. Diese Leitgedanken führten zur Idee der vorliegenden Anthologie, die ihren Ursprung während des Symposiums in Brixen 2019 hatte. Sie ein Jahr später, im Juli 2020, im feierlichen Rahmen des geselligen Abends Manfred Endres im Kreis aller Autorinnen und Autoren in Brixen zu übergeben, war erklärtes Ziel. Kaum ein Jahr aber brachte in den letzten Jahrzehnten so viele Änderungen und damit den Entwicklungsraum Zukunft so markant und anhaltend allgegenwärtig in den Fokus wie dieses Jahr 2020. Gesamtgesellschaftlich verlangt diese für uns neue Zeit wegen ihres Charakters des Unbekannten und Bedrohlichen, der bei den meisten Menschen Sorgen und Ängste auslöst, kollektiv und global forcierte Anpassungsleistungen von uns. Die Zukunft wird zeigen, welche Auswirkungen die Pandemie auf die seelische Konstitution von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien und auf die Menschheit in ihrem bislang bekannten Entwicklungsraum unserer Erde hat. Unser herzlicher Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die mit spontaner Begeisterung einen Beitrag zu Ehren von Manfred Endres verfasst und uns Herausgebern anvertraut haben, unserem Verleger Roland Apsel und seinem Verlagsteam für seine offene Bereitschaft für dieses Projekt und seine unterstützende Begleitung sowie Dietlind Rexroth für ihre umfassende Unterstützung.
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