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Margrit Frölich / Ulrike Jureit / Christian Schneider (Hrsg.)
Das Unbehagen an der Erinnerung – Wandlungsprozesse im Gedenken an den Holocaust
1. Aufl. 2012
240 S., 20,7 x 14,5 cm, Pb.
24,90 €
ISBN 9783860999264

Lieferbar

Die deutsche Erinnerungskultur befindet sich in einem fundamentalen Umbruch angesichts einer globalisierten Welt und fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Neue Herausforderungen an das historische Erinnern und Gedenken sind entstanden, überlieferte Muster, Rituale und Praktiken des öffentlichen Erinnerns sind zu reflektieren.


 

 

 

»Die Herausgeber gehen davon aus, dass die Geschichtsschreibung, speziell die deutsche Geschichtsschreibung nach 1945, zwischen Wunsch und Wirklichkeit oszilliert und die Erinnerung daher mit einem gewissen Unbehagen betrachtet werden muss. (...)
Daher thematisieren die Autoren die bestehenden Defizite, die überkommenen Routinen und die problematische Selbstvergewisserung der kollektiven Erinnerungspraxis, die in gewisser Hinsicht von einer einheitlichen Gesellschaft ausgehen muss und daher der sich weiter diversifizierenden Gesellschaft immer weniger gerecht werden kann. Vor diesem Hintergrund widmet sich Harald Schmid in seinem Beitrag den kritischen Diagnosen zur Erinnerungskultur, die einerseits auf einen intellektuellen Selbstverständigungsprozess schließen lassen, aber andererseits auch verdeutlichen, dass ein Kampf um die geschichtsphilosophische Deutung der veränderten Situation eingesetzt hat. Hierbei stellt der Autor unter anderem fest, dass die bisherige Erinnerungskultur vielfach mit einem ex negativo gewonnenen Ordnungsverständnis gearbeitet habe, das zwar zu einer Stigmatisierung des Nationalsozialismus, aber nicht zu einem selbstsicheren und positiv gefüllten Demokratiebewusstsein geführt habe. Claus Leggewie thematisiert demgegenüber die Hilfsfunktion der Geschichtswissenschaft bei der Wahrheitssuche. Deren Expertise sei besonders dann gefragt und notwendig, wenn Historiker als Sachverständige vor Gericht zu Rate gezogen werden. Der historiografischen Urteilsbildung nähert sich Leggewie in diesem Beitrag über das triadische Verhältnis von professioneller Geschichtsschreibung, moralischer Beurteilung historischer Ereignisse sowie der strafrechtlichen Verurteilung vergangener Verbrechen. Deren Bewertung durch die Nachwelt werde immer konfliktbehaftet sein.«
(Ines Weber, Portal für Politikwissenschaft)

»Unbehagen ist eine Intuition und daher ein vorreflexiver Zustand. Irgendetwas stimmt nicht, aber man weiß nicht so genau, was es eigentlich ist. Die Intuition kann ein Wegweiser für die Reflexion sein, die sich aufmacht und zu klären versucht, was das Problem ist und wie es behoben werden kann. In diesem Sinne werden die Thesen, die Ulrike Jureit und Christian Schneider bereits in einer vorangegangenen Publikation aufgestellt haben, im vorliegenden Band von anderen Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Disziplinen aufgenommen und diskutiert.
So wie Alexander und Margarete Mitscherlich in den 1960er-Jahren der Kriegsgeneration ins Gewissen redeten und ihr ihre ‚Unfähigkeit zu trauern‘ vorwarfen, werfen Jureit und Schneider nun vierzig Jahre später der Nachkriegsgeneration der 68er falsches Erinnern vor. Die Gefühlslage der ‚nachholenden Trauer‘ sei absolut verfehlt, so die Botschaft an die 68er-Generation, weil sie auf einem falschen Bewusstsein gründe. Aus psychoanalytischer Perspektive hebt Schneider hier besonders die Überidentifikation mit den Opfern hervor, die zu einer einfachen Lösung des Schuldproblems durch Lossagung von den Eltern und dem deutschen Schuldkollektiv geführt habe.«
(Aleida Assmann, in: H-Soz-Kult, 15.04.2013)»Der Band beleuchtet in 13 Aufsätzen das Gedenken des Holocaust aus interdisziplinärer Sicht. Die Beiträge folgen dabei sehr unterschiedlichen Zugängen – und gerade dies erfreut als besondere Stärke des Buches. Es werden neben historischen, politologischen und psychoanalytischen Dimensionen auch religiöse, juristische und pädagogische Aspekte des Erinnerns diskutiert, es findet sich ein Aufsatz zu literarischen Formen der Erinnerung (hier Bernhard Schlinks Der Vorleser) ebenso wie zum kollektiven Erinnern aus europäischer Sicht in Bezug auf die Stockholmer ›Holocaust-Konferenz‹. Die so zusammengetragenen Bedeutungsfacetten wölben sich zu einer erfreulichen Plastizität der Betrachtung und können damit befruchtende Diskussionen eröffnen. Gerade die Ergänzung der so unterschiedlichen Betrachtungswinkel dämpft die Gefahr monochromatischer Selbstreflexivität. (…) Die Diskussion um die möglichen bewussten wie unbewussten Hintergründe einer deutschen Neigung zur Opferidentifikation muss sich vor einem solchen europäischen Betrachtungswinkel zur Revision stellen.
Auch Astrid Messerschmidt, die migrationsgesellschaftliche Erinnerungspraktiken diskutiert, gelingt mit ihrem Beitrag eine erfreuliche Erweiterung des Denkens (…) anregende Lektüre.«
(Vera Kattermann, Psyche, 68)

 

 

 

 
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