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Selbstpsychologie 29/30, 3-4/2007
Die Bedeutung des Unbewussten im therapeutischen Veränderungsprozess
The Impact of the Unconscious in the Prozess of Change
Selbstpsychologie 29/30
Mit Beiträgen von Barbara Bastian Becker, Hans-Peter Hartmann, Günter Heisterkamp, Chris Jaenicke, Peter Kutter, Anna Ornstein, Paul Ornstein, Karin Pinter, Judith Guss Teichholz
1. Aufl. 2007
189 S., Pb.
49,80 €
vergriffen, keine Neuauflage * Bestellung abgelegt

Inhalt


Hans-Peter Hartmann/Wolfgang Milch
Prolog

Hans-Peter Hartmann
Das Unbewusste in der Selbstpsychologie

Judith Guss Teichholz
Eine unerwartete Annäherung – Postmoderne Theorie, Säuglingsforschung und das psychoanalytische Unbewusste

Paul Ornstein
Das Konzept des Unbewussten heute und andere Veränderungen in der Selbstpsychologie
The Concept of Unconscious Today and Other Transformations in Self Psychology

Anna Ornstein
Die Heilungsphantasie und der Prozess der therapeutischen Veränderung
The Curative Fantasy and the Process of Therapeutic Change

Chris Jaenicke
Übertragung: Eine intersubjektive Sichtweise
Transference: An Intersubjective Perspective

Günter Heisterkamp
Geteilte Freude in der psychoanalytischen Behandlung
Shared Joy in Psychoanalytical Treatment

Karin Pinter
»Resonanz« und »Differenz« – ein Wechselspiel therapeutischen Engagements

Barbara Bastian Becker
Entgleisende Beziehungen in deutschen Schulen

Peter Kutter
Nachruf für Zoltan Erdely

Hans-Peter Hartmann/Wolfgang Milch
Epilog



Abstracts


Hans-Peter Hartmann
Das Unbewusste in der Selbstpsychologie

Nachdem der Inhalt des Unbewussten in der Selbstpsychologie, d.h. die unterdrückten Selbstobjektbedürfnisse, definiert ist, wird die Entwicklung des Selbstobjektkonzepts beschrieben. Die drei wesentlichen Selbstobjektübertragungen werden dargestellt und die Bedingungen der Heilung im Verlauf des therapeutischen Prozesses aus Sicht von Kohut im Vergleich zu einer Freudschen Sichtweise erläutert. Darauf folgend werden die Konzeptionen des Unbewussten in einer diversifizierten Selbstpsychologie ausgehend von der Intersubjektivitätstheorie und der Sichtweise motivationaler Systeme erklärt. Die Beschäftigung mit Ideen aus der Entwicklungspsychologie (Bindungstheorie, implizites Wissen und Gedächtnisforschung) sowie aus der Neurobiologie (Spiegelneurone und Gehirnentwicklung) zeigt auf, dass die Selbstpsychologie am besten in der Lage ist, die neuen Paradigmen anderer Wissenschaften zu integrieren.


Judith Guss Teichholz
Eine unerwartete Annäherung – Postmoderne Theorie, Säuglingsforschung und das psychoanalytische Unbewusste

Die Autorin beschreibt, was sie als eine unerwartete Annäherung zwischen postmoderner Theorie in der Psychoanalyse, den Untersuchungen von Kleinkindforschern in den letzten Jahren, Bindungsforschern und kognitiven Neurowissenschaftlern versteht, deren Forschungsergebnisse in paradoxer Weise bestimmte postmoderne Annahmen zu unterstützen scheinen. Diese Annäherung ist unerwartet und paradox, weil in der postmodernen Sichtweise keine wissenschaftliche Wahrheit »da draußen«, jenseits dessen, über das ein gegenseitiges Einverständnis durch gegenseitige Anerkennung besteht, existiert. Unter Beachtung der Spannungen zwischen diesen wissenschaftlichen und postmodernen wissenschaftlichen Zugängen zur Realität untersucht die Autorin ausgewählte empirische Studien und diskutiert, wo diese auf einem postmodernen Kontinuum einzuordnen sind. Sie diskutiert darüber hinaus die Implikationen für die Selbstpsychologie und die Relationale Psychoanalyse. Die Forschungsergebnisse – ebenso wie das Nichtlineare Dynamische Systemmodell der Psyche, das die Ergebnisse nahe legen – könnten die beiden zeitgenössischen Theorien bezüglich bestimmter Ziele von ihren jeweiligen Paradigmen, die bisher als unvereinbart verstanden wurden, zusammen bringen.


Paul Ornstein
Das Konzept des Unbewussten heute und andere Veränderungen in der Selbstpsychologie
The Concept of Unconscious Today and Other Transformations in Self Psychology

Heutige Beiträge und Reformulierungen über das unbewusste psychische Erleben erzeugen eine liberale Atmosphäre, die dem Zusammenhalt der »Familie« psychoanalytischer Schulen förderlich ist. Die Annahme ist, dass unbewusste Prozesse allen psychoanalytischen Psychologien und auch vielen nicht psychoanalytischen Schulen eigen sind, wobei wesentliche Unterschiede in den Vorstellungen über Ursprünge und Inhalte unbewusster Erfahrungen bei den verschiedenen Schulen bestehen. Der Autor beschreibt, dass (1) Veränderungen unvermeidlich endlos sind, immer legitim unter dem Aspekt der sich ausweitenden klinischen Erfahrung und (2), dass diese ständigen Neuerungen immer die basale Annahme der Psychoanalyse beibehalten, dass ein großer Teil des psychischen Lebens unbewusst ist und (3), dass die sich entwickelnde Theorie über unbewusste Erfahrung die Weiterentwicklung einiger unserer unterschiedlichen psychoanalytischen Theorien gefördert hat. Unvermeidlich entstand eine immer größer werdende Kluft zwischen der Theorie der Pathogenese und der klinischen psychoanalytischen Erfahrung. Um diese Kluft zu verkleinern, wurde eine Reihe von Veränderungen in die nun »pluralistischere« Psychoanalyse eingebracht, jede mit ihrer besonderen Auswirkung darauf, wie wir die Ursprünge und Inhalte unbewussten psychischen Lebens heute konzeptuell verstehen.


Chris Jaenicke
Übertragung: Eine intersubjektive Sichtweise
Transference: An Intersubjective Perspective

Der Artikel beschreibt die intersubjektive Sichtweise von Übertragung und untersucht dieses zentrale psychoanalytische Konzept im Hinblick auf das Risiko der Verbundenheit für beide Teilnehmer des psychotherapeutischen Prozesses. Die Intersubjektivitätstheorie versteht Übertragung als Bestandteil eines fundamentalen menschlichen Bestrebens, Erfahrung zu organisieren und Bedeutungen zu erzeugen. Der Unterschied zwischen Übertragung als organisierende psychische Aktivität und Übertragung als Regresssion oder Verschiebung, Projektion oder Entstellung wird verdeutlicht. In der Behandlung bezeichnet der Begriff die Art und Weise, wie der Patient die analytische Beziehung in seine affektbesetzten, archaischen Konfigurationen von Selbst und Anderem assimiliert.Übertragung wird als ein Ausdruck des fortdauernden Einflusses dieser Konfigurationen und nicht als Manifestation einer Regression auf die Vergangenheit, oder einer Verschiebung auf die Gegenwart, verstanden. Übertragung wird nicht auf ein rein intrapsychisches Phänomen beschränkt, sondern beinhaltet auch immer den Beitrag des Analytikers. Übertragung ist multidimensional mit zwei Grunddimensionen: der Wunsch nach Wachstum und die Angst vor erneuter Enttäuschung. Diese beiden Pole des Kontinuums der Übertragung entsprechen dem Konzept der entwicklungsorientierten (LE) Deutungen und den abwehrorientierten (TE) Deutungen. Eine Falldarstellung wird beschrieben, in der physischer Kontakt eine Rolle spielte. Das Verständnis von Deutungen wird erweitert jenseits von verbalisierten und symbolisierten Interaktionen. Übertragung und Gegenübertragung, bzw. Ko-Übertragung, sind ein perfektes Beispiel eines intersubjektiven Feldes. Demzufolge enthält die Falldiskussion auch eine Beschreibung der Ko-Übertragung des Analytikers. Das Risiko der Verbundenheit bedeutet, dass beide Teilnehmer bereit sein müssen, sich einzulassen und ihren Anteil an der Ko-Kreation des intersubjektiven Feldes zu verstehen, damit eine Psychotherapie erfolgreich sein kann.


Karin Pinter
»Resonanz« und »Differenz« – ein Wechselspiel therapeutischen Engagements

Eine dynamische therapeutische Beziehung erfordert eine sorgfältige Balance zwischen den zwei Elementen empathischen Verstehens: der bestätigenden Resonanz und der kontrastierenden Differenz. Klinische Erfahrungen legen es nahe, dass die Momente der Differenz ganz besondere Aufmerksamkeit der Analytikerin verdienen. Diese Einsicht bildet den Kern des Aufsatzes, der den theoretischen Argumentationsgang mit Hilfe einer ausführlichen Falldarstellung erläutert.


Barbara Bastian Becker
Entgleisende Beziehungen in deutschen Schulen

Seit der ersten Pisa-Studie 2001 sowie dem Besuch des UN-Sonderberichterstatters für Bildung V. Munoz werden in der Öffentlichkeit immer wieder über die mangelnde Bildungsgerechtigkeit und den wachsenden Leistungsdruck an deutschen Schulen geklagt. Im vorliegenden Aufsatz betrachtet die Autorin die hinter diesen Begriffen stehende Alltagssituation und beschreibt, wie die Beziehungen der Beteiligten im »deutschen Bildungsnotstand« von diesem determiniert sind und einen Zustand der entgleisten Beziehungen und der Angst zwischen Kindern, Eltern und Lehrern entstehen lässt. »Ausreichend gute Beziehungen«, die für die kindliche Entwicklung notwendig sind, können unter diesen Umständen nicht entstehen. Gefühle der Schuld und der Scham über dieses Versäumnis werden auf die, die es eigentlich zu schützen und zu fördern gilt – die Kinder – verschoben. Um in dieser malignen Dynamik zu bestehen, wird auf Seiten der Erwachsenen (Lehrer und Eltern) auf den Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor, d.h. den Schulbehörden mit ihrem bürokratischen Apparat, der an den Bedürfnissen der Beteiligten vorbeiarbeitet, zurückgegriffen. Mit diesen psychischen Mechanismen wird der Bildungsnotstand zementiert.
 
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