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Thomas von Freyberg / Angelika Wolff (Hrsg.)
Störer und Gestörte
Band 1
Band 1: Konfliktgeschichten nicht beschulbarer Jugendlicher
Vorwort von Ludwig von Friedeburg
3. Aufl. 2017
320 S. - 20,7 x 14,4 cm, Pb
24,90 €
ISBN 9783860998137

Lieferbar

Es gibt Jugendliche, die ihre Erzieher, Lehrer und Sozialarbeiter in schier endlose und eskalierende Konflikte verstricken. Konflikte, aus denen es schließlich nur noch einen Ausweg zu geben scheint: den Abbruch der Arbeit und der Beziehung.

Wie aber schaffen es diese »besonders schwierigen«, »nicht schulfähigen« oder »nicht beschulbaren« Jugendlichen, dass kompetente, erfahrene und nicht selten engagierte Lehrer und professionelle Helfer sich hilflos in Konflikte mit ihnen verstricken lassen und dabei häufig ihre Professionalität einbüßen?

In einem interdisziplinären Forschungsprojekt haben Soziologen und Psychoanalytiker in aufwändigen Einzelfallstudien Konfliktgeschichten nicht beschulbarer Jugendlicher untersucht. Ihre Frage: Was treibt diese erbitterten Kämpfe um Macht und Kontrolle an, die sich über Jahre hinwegziehen können, in deren Verlauf sich Täter und Opfer, Störer und Gestörte immer ähnlicher werden und an deren Ende nur besiegte Sieger und siegreiche Verlierer stehen?



 

 


Wider die blanke Ohnmacht der Lehrer
Was tun Schüler, die als nicht schulfähig gelten?

Lehrer klagen zunehmend über Schüler, die sie in einem bislang nicht gekannten Ausmaß in schier endlose und enervierende Konflikte verstricken, so dass der eigentliche Auftrag der Schule häufig nicht mehr zu gewährleisten ist. In erbittert geführten Kämpfen werden auf beiden Seiten Blessuren geschlagen, ist oft nichts als blanke Ohnmacht und daraus resultierende Wut zu spüren. Verschüttete Entwicklungspotenziale hie, Verlust an Professionalität da sind markante Kennzeichen dieses Konflikts. Es verwundert nicht, dass die Neigung wächst, diesen Jugendlichen schlichtweg zu attestieren, sie seien nicht schulfähig, und sie auszuschulen. Vor diesem Hintergrund hat sich der Verlag Brandes & Apsel lobenswerterweise entschlossen, eine Reihe» Störer und Gestörte« herauszugeben. (...
Im ersten Band dieser Reihe legen Thomas von Freyberg und Angelika Wolff die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts von Psychoanalytikern und Soziologen vor, in dessen Verlauf vier »Fälle« so genannter nicht beschulbarer Jugendlicher gemeinsam betrachtet, diagnostiziert und diskutiert wurden. Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung und des Instituts für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in Frankfurt haben sich mit ihrer je eigenen Perspektive sehr detailliert und differenziert der Situation betroffener Schüler angenähert.
Beginnend mit der lebensgeschichtlichen Anamnese, über die kritische Auseinandersetzung mit den institutionellen Schauplätzen von Schule - und in der logischen Folge des störenden Verhaltens mit Einrichtungen der Jugendhilfe - bis hin zur Darstellung wie Reflexion der persönlichen Begegnung mit diesen Jugendlichen und schließlich der interdisziplinären Falldiskussion werden erschütternde Geschichten und Schicksale offenbar. Der Leser erhält einen sehr dichten Eindruck belasteter oder gar gescheiterter Sozialisationserfahrungen in der Herkunftsfamilie. Wie mit einem Wiederholungszwang kehren diese ungelösten Probleme in den Schulalltag zurück und werden vor allem in den Beziehungen zu den Lehrern szenisch reproduziert. Die Pädagogen realisieren nicht, dass - was sich zunächst paradox ausnimmt - »Fördern und Fordern« für die schwierigen Jugendlichen eine existenzielle Bedrohung darstellt, auf die sie mit der ihnen möglichen Art reagieren. Aus Angst und Misstrauen, elementar zu Schaden zu kommen, arbeiten sie daran, die Beziehung zu den zunächst durchaus gutwilligen Erwachsenen zu zerstören. Wird dieses Manöver nicht verstanden, fühlen sich die Jugendlichen persönlich zurückgewiesen. Von da an greift das rigide Regelwerk der Institution mit immer härteren Sanktionen und am Ende mit dem Schulverweis.
Das eigentlich Ernüchternde ist, dass die professionell Tätigen kaum ausgebildet sind, diese Zusammenhänge wahrzunehmen, und sich auch nicht darum bemühen - etwa in Form von Fallkonferenzen -, diese Lücke zu schließen. Der Band verdeutlicht, dass es Lehrern ohne dieses Wissen nur schwer möglich ist, den Beziehungsfallen zu entgehen, in die sie immer wieder - und das mehr unbewusst als bewusst - hineingezogen werden. Und die Autoren machen klar, dass dieses Wissen zwingend mit der Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen der Schüler einzufüWen, verknüpft ist. Diese Empathie ermöglicht es den Pädagogen dann auch, die eigene affektive Verstrickung zu erkennen. Erst dann scheint es realistisch, dass die Beziehungen sich positiv entwickeln können und nicht - wie bislang - häufig misslingen. So kann Schule wieder Erfolg haben. Durchgängig wird in den Texten eine »strukturelle Verantwortungs- losigkeit« in Schule und Jugendhilfe konstatiert: Individuelle und in. stitutionelle Störung gehen eine unsägliche Mesalliance ein - eine Fonnulierung, die selbstredend den Lehrern, die im Berufsalltag erheblichen Kränkungen ausgesetzt sind, nicht gefällt und zunächst eher ihre Abwehr noch weiter verstärkt. Bedingt durch meist unzureichend er- lebte häusliche Beziehungserfahrungen mangelt es den Schülern an reifen Persönlichkeitsstrukturen, die es ihnen erlauben, sich sogleich auf die geforderten Sachthemen ein- zulassen. Als Reaktion baut Schule schnell auf Strafe und Selektion; und Jugendhilfe gerät vor dem Hintergrund einer schwachen Position gegenüber den nicht per se kooperationswilligen Eltern in Gefahr, die festgestellten Störungspotenziale zur Autonomie zu verklären. Diese fatal anmutende Wechselwirkung wird im Buch klar analysiert und deutlich benannt, das war dringend notwendig. Das Buch klagt nicht an, im Gegenteil es enthält wichtige Hinweise, wie man bei richtiger Einschätzung dieses leidigen Zusammenspiels zu konstruktiven Lösungen kommen kann, die für alle Beteiligten auch und vor allem emotionale Entlastung bereit halten.«

Der Autor:
Prof. Dr. Manfred Gerspach lehrt am Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Darmstadt. Seine Schwerpunkte sind Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern, Heilpädagogik und Psychoanalytische Pädagogik. Zu diesen Themen hat er zwei Bücher veröffentlicht. "Wohin mit den Störern?" (1998). "Kinder mit gestörter Aufmerksamkeit." (zusammen mit Hartmut Amft und Dieter Mattner 2004).

(Das Wissenschaftsmagazin. Forschung Frankfurt. 3.2005)

 

 

»Eine aufschlussreiche und hilfreiche Untersuchung, die viele Konfliktzusammenhänge offenlegt und brauchbare Lösungswege anbietet.«
(A. Thömmes, lehrerbibliothek.de)

 
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